Jurassic WS 1998/99

50 JAHRE MENSCHENRECHTE

AM 10. DEZEMBER 1948 WURDE DIE „UNIVERSAL DECLARATION OF HUMAN RIGHTS" IN PARIS VON DEN VEREINTEN NATIONEN BEI DER SCHLUßABSTIMMUNG DER GENERALVERSAMMLUNG EINSTIMMIG (MIT ACHT ENTHALTUNGEN) ANGENOMMEN.


Täglich informieren die Medien über Menschenrechtsverletzungen in aller Welt, trotz der von allen UN-Staaten unterzeichneten Menschenrechtserklärung, die letztes Jahr ihren 50. Jahrestag feierte. Sind solche Feiern überhaupt berechtigt, angesichts der scheinbaren Wirkungslosigkeit dieser Erklärung?

Ein offenkundiges Ergebnis ist, daß Menschenrechtsverletzungen seit der UN-Erklärung als solche erkannt und von der Öffentlichkeit verurteilt werden können, da sich die Welt auf eine gemeinsame Definition geeinigt hat.

Aber um diese Erklärung wirklich schätzen zu lernen, sollte man sie wenigstens ansatzweise in ihren ungefähren historischen Kontext setzen.

Schon in der Antike wurden Menschenrechte auf der Basis des Naturrechts formuliert, die allerdings nur dem frei-en Bürger zustanden. Von der christlichen Kirche wurden diese Rechte zwar auf alle Menschen ausgeweitet, jedoch mit dem Verweis auf das Leben nach dem Tod.

Gegen diese kirchlichen Glaubenssätze rebellierte im 15. Jahrhundert der Humanismus, der dann allerdings mit der Entwicklung der Staatsräson dem Individuum sämtliche Rechte zu seinem eigenen Schutz absprach und sie auf den Herrscher übertrug.

Die entscheidende Entwicklung (für unser heutiges Verständnis) erfuhr die Idee der Menschenrechte aber in der Philosophie der Aufklärung. Diese definierte im Vertrauen auf die Vernunft für das Individuum einen „Gesellschaftsvertrag", eine freie Vereinbarung der Gemeinschaft, die es dem Einzelnen ermöglichen sollte, bei Machtmißbrauch des Herrschers den Vertrag von sich aus aufzukündigen. Die wichtigsten Verfechter dieses Ge-dankens waren J.J. Rousseau und John Locke. Seine praktische Umsetzung ließ angesichts der historischen Realität allerdings zu wünschen übrig.

Die wesentlichen Errungenschaften der Aufklärung sind jedoch, daß den Menschenrechten eine universale Dimen-sion anerkannt wurde, sie also zu unveräußerlichen, angeborenen, nicht an Raum und Zeit gebundenen und vom jeweiligen Herrschaftssystem unabhängigen Rechten erklärte. Die Menschenrechte wurden auf einem Naturrecht begründet, das nur anhand von Vernunft definiert werden sollte. Mit der Trinität von Leben, Freiheit und Eigen-tum wurde eine Basis von fundamentalen Rechten geschaffen. Weiterhin forderte die Aufklärung Glück und Wohl-fahrt als Lebensziel schon vor dem Tod.

Die erste Menschenrechtserklärung in diesem Sinne mit dem Rang einer Verfassung war die „Virginia Bill of Rights", die am 12. Juni 1776 verkündet wurde. Trotz qualitativer Mängel war sie bahnbrechend und übte starken Einfluß auf die folgenden Erklärungen aus. Eine davon war die „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" der französischen Nationalversammlung vom 26. August 1789. Sie bezog sich als erste auf die Rechte aller Menschen, war also die erste universale Erklärung.

Die in diesen Erklärungen niedergeschriebenen Forderungen verursachten losgelöst von der in Frankreich folgen-den Herrschaft des Schreckens ein politisches Erdbeben.

Nachdem die liberalen Menschenrechte vom Bürgertum erkämpft waren, wurde durch die industrielle Revolution nun auch der Ruf nach sozialen Menschenrechten laut. Die britische besitzlose Arbeiterschaft legte als erste 1839 die „People’s Charter" vor, in der sie die Wiederherstellung der naturrechtlichen Gleichheit forderte, und zwar anhand einer konsequenten Demokratisierung und mit Hilfe von sozialen Reformen. Sie wandte sich dabei aller-dings nicht gegen das liberale Recht auf Eigentum, sondern leitete im Gegenteil hieraus ihr Recht auf den vollen Gewinn ihrer Arbeit ab.

Diese sog. sozialen Menschenrechte wurden von den Vordenkern des Marxismus-Leninismus völlig anders ausge-legt. Sie lehnten jegliche Reform des Staats strikt ab und verwarfen das Recht auf Eigentum zugunsten der Verge-sellschaftung aller Produktionsmittel. So wurde in der Verfassung der UdSSR auch der Schwerpunkt auf die Ga-rantie mehrerer sozialer Grundrechte wie Recht auf Arbeit, Erholung, Versorgung etc. gelegt.

Sämtliche der bis hierhin beschriebenen Elemente sind in die UN-Erklärung eingeflossen, die sie zu einem beein-druckenden Dokument bündelte, in dem zum ersten Mal die weltweite Geltung der Menschenrechte postuliert wurde.

Doch warum gerade jetzt? Eine universale Menschenrechtserklärung wurde schon seit geraumer Zeit verlangt.

Es waren die ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen im Nationalsozialismus, die den Rufen nach einer einklagbaren Garantie der Menschenrechte Nachdruck verliehen. So forderte Franklin D. Roosevelt 1941 in seiner „Ansprache zur Lage der Nation" wegweisend die „Four Freedoms": Freiheit der Meinungsäußerung, der Religi-onsausübung, Freiheit von Not und Freiheit von Furcht. Darin wurden die sozialen und liberalen Menschenrechte in einer Forderung verbunden, auf der Erkenntnis, daß Frieden und Freiheit einer menschenwürdigen Existenz als Basis bedürfen.

Der Konflikt zwischen den jeweiligen Verfechtern dieser sozialen und liberalen Menschenrechten sorgte allerdings bei der Ausarbeitung der UN-Erklärung für harte Auseinandersetzungen und führte zu den acht zu Beginn ge-nannten Enthaltungen, von denen sechs aus dem östlichen Lager stammten. Der Traum der „One World" wurde angesichts des immer offener ausgetragenen Ost-West-Konflikts unwahrscheinlicher denn je, wodurch auch die für den Entwurf der Erklärung zuständige Kommission immer mehr unter Zeitdruck geriet.

Am besten spiegeln sich die gegensätzlichen Positionen sicherlich in den folgenden zwei Aussagen wieder: einer-seits des britischen Vertreters der UN-Menschenrechts-kommission: „Wir wünschen freie Menschen, nicht wohlge-nährte Sklaven", andererseits des ukrainischen Regierungsvertreters, der die materielle Sicherheit als Priorität sah, „Freie Menschen können verhungern".

Neben dieser grundsätzlichen Auseinandersetzung hatte die Kommission auch noch die speziellen Vorgaben der einzelnen Nationen und Kulturen zu beachten und kämpfte außerdem mit dem allgemeinen Unwillen, Souveräni-täten abzugeben und sich damit einer supranationalen Kontrolle zu unterwerfen.

Das erklärt, warum das Ergebnis „nur„ eine Erklärung, kein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag war. Dennoch stellte sie neue moralischen Maßstäbe auf, zu denen sich die Mitgliedsstaaten der UNO am 10. Dezember 1948 öffentlich bekannten.

Die „Universal Declaration of Human Rights" (leider wurde „universal" in „allgemein" statt „universal, allumfas-send" übersetzt) ist also einerseits das Resultat einer jahrtausendelangen Entwicklung des Menschenrechtsgedan-kens, andererseits auch Reaktion auf die Perversion und Grausamkeiten der nationalsozialistischen Regimes, was verdeutlichte, wie notwendig die Schaffung einer solchen Erklärung war.

Doch was nützen die Menschenrechte, wenn sie nirgendwo eingeklagt werden können? In einem Unrechtsstaat wird keine Gerichtsbarkeit gegen die regierende Macht entscheiden, womit den dort in ihren grundlegendsten Rechten verletzten Individuen in keiner Weise geholfen ist.

Im Sommer 1998 wurde schließlich der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag gegründet, ein Projekt, für das schon in einer UN-Voll-versammlung von 1950 durch eine Resolution ein Komitee gebildet wurde. Offensichtlich ist die Bereitschaft der Staaten, auch nur Teile ihrer Rechtssprechungssouveränität aufzugeben, verschwindend ge-ring, was sich in den enormen Kompetenzbeschränkungen des neuen Internationalen Gerichtshofes widerspiegelt. Hier allerdings könnte ihm die Öffentlichkeit ebenso wie schon bei seiner Schaffung auf die Sprünge helfen.

Doch wie wird die Zukunft der Menschenrechte an sich aussehen? Ihre Definition ist nicht unumstritten. Gerade die erklärten Gegner der westlichen Kulturen pochen auf ihr Recht der eigenen Definition der Menschenrechte und legen den Schwerpunkt auf die sozialen Grundrechte, die natürlich primär Rechte der Gesellschaft oder von gesell-schaftlichen Gruppen sind. Problematisch ist natürlich, daß sich diese Diskussion hervorragend dazu eignet, die individuellen Grundrechte ganz zu negieren.

Wie werden die Menschenrechte in Zukunft geschützt werden? Wird man in Krisengebieten intervenieren, notfalls auch gegen den Willen der jeweiligen Regierung? Kann man Menschenrechtsverletzungen überhaupt mit Waffen-gewalt verhindern? Antworten auf diese Fragen müssen noch gefunden werden.

Die Frage nach dem „ob" der Menschenrechte ist jedoch überwunden, ihre Existenz und die Notwendigkeit ihrer Sicherung sind unbestritten. Statt dessen wird nun über das „Wie" bzw. „Wie weitreichend" debattiert. Vielleicht ist das der Punkt, an dem sich der Fortschritt in den letzten 50 Jahren festmachen läßt.

js


Zu diesem Thema die Extraseite bei den Vereinten Nationen auch mit Links zum Text:
http://www.un.org/rights/50/


zum Inhaltsverzeichnis der Jurassic 2/1998

letzte Aktualisierung: 23. April 1999