Jurassic WS 1997/98

Wir sind der Reformstau

Regensburg, 16. Dezember 1997. Hörsaal 20. Die Fachschaft Jura hat zur Podiumsdiskussion geladen. Es soll darüber debattiert werden, wie man die juristische Ausbildung in Regensburg konkret verbessern kann. Ein Thema also, das zweieinhalbtausend Studierende der Rechtswissenschaften eigentlich ansprechen müßte, ebenso wie ihre 17 Professoren und X Assistenten. Bis halb acht trudeln ein: Je zwei Professoren und Assistenten (die Diskussionsteilnehmer) sowie knapp 20 Studenten, davon gut die Hälfte Fachschaftler. Wie sich nun jeder ausrechnen kann, sind die Abwesen-heitsquoten nicht gerade berauschend hoch. Und genau da liegt unser Problem: Die Ignoranz und das Desinteresse aller Beteiligten.

Und genau da liegt unser Problem: Die Ignoranz und das Desinteresse aller Beteiligten.

Fangen wir beim Professorium an. Hier gibt es ohne Zweifel ein paar Lichtgestalten, die sich wirklich um das Wohl der Studenten bemühen. Für einige ihrer Kollegen hingegen stellt der Lehrbetrieb nur ein notwendiges Übel dar, das man mit dem geringstmöglichen Aufwand und Engagement betreiben sollte. So bleibt noch genügend Zeit, um sich am Schreibtisch hinter Büchern zu vergraben und seiner wahren Berufung - der Wissenschaft - zu frönen. Sehr unterschiedlich ausgeprägt ist auch die Aufgeschlossenheit für Vorschläge der Studentenschaft sowie das Interesse, das studentischen Veranstaltungen entgegengebracht wird. Es mag ja durchaus der Fall sein, daß man jahrelang immer wie-der durch widrige Umstände daran gehindert wird, am Erstsemesterabend teilzunehmen. Doch könnte man sich dann ja wenigstens zehn Sekunden Zeit nehmen, um seiner Sekretärin aufzutragen, den Termin abzusagen. Aber mit der Kommunikationsbereitschaft ist das eben so eine Sache...
Mag man sich deshalb auch über den einen oder anderen Vertreter des Professoriums zu Recht ärgern, es ist die Ignoranz der Studenten, die einem den letzten Nerv raubt. Bei besagter Podiumsdiskussion waren letztere schließlich die am schlechtesten vertretene Gruppierung. Es ist zwar durchaus schick, die Mängel der universitären Ausbildung lauthals zu beklagen, wegen derer man ja - nolens volens - gezwungen wird, den kommerziellen Repetitor aufzusuchen. Aber seinen Unmut öffentlich zu äußern oder gar Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten - das wäre nun wirklich zuviel verlangt. Der Streik im letzten Herbst hat ein übriges getan: Durch zweiwöchige hochschulpolitische Akti-vität im Arbeitskreis X oder Y hat man sich die Absolution fürs Nichtstun während des restlichen Studiums verdient. Ein Schelm, wer behauptet, Veränderung brauche nicht ein paar symbolische Hau-Ruck-Aktionen, sondern langen Atem. Aber die Mehrheit von uns Jurastudenten hat es ja nicht einmal über sich gebracht, eine einzige (!) Woche konsequent keine Lehrveranstaltungen zu besuchen. Solidarität ist ein Luxus, der anderen Fachberei-chen vorbehalten bleibt.

Solidarität ist ein Luxus, der anderen Fachbereichen vorbehalten bleibt.

Generell scheint es den Studenten an unserer Fakultät aber schon zuviel abzuverlangen, sich mit Themen und rechtlichen Fragestellungen zu beschäftigen, die der Examensrelevanz entbehren. Wie sonst läßt es sich erklären, daß zu den von der Fachschaft organisierten Vorträgen im Schnitt gerade einmal zwei Dutzend Zuhörer kommen? Das frustriert sowohl die zum Teil von weither angereisten Referenten als auch die Organisatoren, und es stellt sich zwangsläufig die Frage, ob solche Veranstaltungen angesichts des geringen Zuspruchs noch Sinn machen.
Ganz offensichtlich keine Zukunft hat jedenfalls die Durchführung einer Vorlesungsbefragung. Zum einen sind viele Professoren nicht gewillt, Kritik an ihrer Lehrveranstaltung überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Zum anderen geht das Interesse der Studenten an einer Verbesserung ihrer eigenen Ausbildung gegen Null. Es paßt ins Bild, daß noch weit über die Hälfte der Evaluationshefte im Fachschaftszimmer auf Halde liegen. Ein Diskurs zwischen Lehrenden und Studierenden über Defizite im Lehrbetrieb, zu dem die Evaluation eigentlich anregen sollte, hat nicht stattgefunden.

Der Regensburger Jurastudent der Endneunziger ist von Kopf bis Fuß auf den Freischuß eingestellt.

Der Regensburger Jurastudent der Endneunziger, so mein Eindruck, ist von Kopf bis Fuß auf den Freischuß eingestellt. Da bleibt keine Zeit mehr für Fremdsprachen, Auslandsaufenthalte, Hochschulpolitik oder auch nur einen flüchtigen Blick über den Tellerrand hinaus. Sich gar bei der Fachschaft oder anderswo zu engagieren, kommt den allerwenigsten in den Sinn. Es sei denn natürlich, man bekommt dafür Geld oder es läßt sich für den persönlichen Lebenslauf ausschlachten.
Während der Bestand an Fachschaftsmitarbeitern ständig zurückgeht, werden im Laufe der Zeit immer mehr Dienstleistungen eben dieser Fachschaft nachgefragt. Die „König Kunde"-Mentalität, die einige Kommilitonen dabei an den Tag legen, überschreitet manchmal wirklich das Maß des Erträglichen, aber das nur am Rande. Sollten in nächster Zeit nicht noch einige Jungfachschaftler zu uns stoßen, dann müssen wir den Laden wohl dichtmachen. Schade eigentlich, denn zu tun gäbe es genug (und es macht sogar Spaß, gerade wenn man selbst die Initiative ergreift). Bei der Gelegenheit möchte ich noch auf den in diesem Heft befindlichen Fragebogen hinweisen. Die Fachschaft soll schließlich die Interessen der Studenten vertreten. Dazu muß aber noch herausgefunden werden, ob es denn etwas gibt, was die Studenten interessiert. Man darf gespannt sein.
sts


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letzte Aktualisierung: 10. Februar 1998