"Recht - So?"

Vortrag von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zur Strafrechtsreform

Regensburg. Eine grundlegende Reform der Strafgesetzgebung hat die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gefordert. "Es ist an der Zeit, die eklatanten Wertungswidersprüche unseres Rechtssystems endlich zu beseitigen", sagte die FDP-Politikerin während eines Vortrages, den sie im Januar auf Einladung der Liberalen Hochschulgruppe (LHG) an der Universität gehalten hat. Es könne nicht gerecht sein, daß ein Täter, der das Leben oder die Gesundheit eines anderen gefährde, mit weit weniger drastischen Konsequenzen zu rechnen habe, als einer, der seine kriminelle Energie lediglich gegen Sachen oder Vermögenswerte richte, meinte Leutheusser-Schnarrenberger weiter.

Entschieden wandte sich die Liberale gegen Forderungen nach einer generellen Verschärfung der bisherigen Regelungen. Auch die punktuelle Anhebung der Strafen für einzelne Delikte ist nach Ansicht der ehemaligen Ministerin kein gangbarer Weg. "Wer glaubt, das Problem lösen zu können, indem er einen Sexualtäter zu fünf zusätzlichen Gefängnisjahren verurteilt, handelt kurzsichtig und nur auf dem Papier", erklärte Leutheusser-Schnarrenberger im Blick auf eine Initiative der bayerischen Staatsregierung. Statt dessen seien im Rahmen eines ausgewogenen Konzeptes sowohl Straferhöhungen als auch Strafsenkungen zu diskutieren. Die Gerichtspraxis habe längst gezeigt, daß es neben Verbrechen, die vom Gesetz mit zu milden Strafen geahndet würden, auch solche gebe, für die das derzeitige Recht zu hohe Strafen vorschreibe, begründete die Bundestagsabgeordnete ihren Vorstoß. Kaum ein Richter, so die Ex-Ministerin, schöpfe das heute gültige Strafmaß für Raubdelikte und Vermögensdelikte wie beispielsweise Diebstahl oder Erpressung voll aus. Dagegen würden die Strafen für Körperverletzungen und Sexualdelikte von den Gerichten meist als unzureichend kritisiert. "Hier muß austariert werden, und zwar so, daß eine vernünftige und verantwortungsvolle Bewertung der geschützten Interessen im Vordergrund steht", folgerte Leutheusser-Schnarrenberger. Prinzipiell habe bei einer Neuordnung zu gelten, daß der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit höher zu bewerten sei als der Schutz des Eigentums.

Ihre Reformbemühungen will die Abgeordnete jedoch nicht nur auf rechtliche Aspekte beschränkt sehen. So mache gerade die aktuelle Diskussion zum Thema Kindesmißbrauch deutlich, daß sich bestimmte Verbrechensarten mit härteren Strafen allein nicht bekämpfen ließen. Die hohe Rückfallquote bei Sexualtätern sei ein deutlicher Hinweis dafür, daß die bloße Freiheitsentziehung allein viele Verbrecher nicht davon abhalte, weitere Gewalttaten zu begehen. Schon im Gefängnis ist deshalb nach Meinung der ehemaligen Ministerin eine intensive therapeutische Betreuung der Täter unabdingbar. Diese Betreuung dürfe auch nach der Haftentlassung nicht abreißen. Wer nicht bereit sei, Mittel für derartige Therapieplätze aufzubringen, nehme in Kauf, daß der Strafvollzug ins Leere laufe und könne folglich nur unglaubwürdig nach Rechtsverschärfungen rufen, so Leutheusser-Schnarrenberger. Es ist also Pflicht des Staates, bilanzierte die Abgeordnete, nicht nur für strengere Gesetze zu sorgen, sondern auch die einschlägigen Rahmenbedingungen sinnvoll zu gestalten.

Eindringlich warnte die FDP-Politikerin dagegen vor dem "Irrglauben", die Kriminalität durch mehr staatliche Eingriffsbefugnisse bekämpfen zu können.

"Nicht jeder Zweck heiligt jedes Mittel", argumentierte sie. Das Spannungsgefüge zwischen Ordnungspolitik und Freiheitsrechten dürfe nicht einseitig zu ungunsten der Bürger verschoben werden.

Statt neuen Bestimmungen das Wort zu reden, sollte das politische Hauptaugenmerk auf eine effektivere Nutzung bestehender Regelungen gerichtet sein, forderte Leutheusser-Schnarrenberger. In diesem Zusammenhang wandte sie sich entschieden gegen Initativen aus den Reihen der Regierungskoalition, der Polizei zukünftig neben dem Abhören auch die Video-Überwachung privater Wohnräume zu gestatten. Kompetenz-Defizite macht die Liberale lediglich auf europäischer Ebene aus: "Internationale organisierte Kriminalität muß endlich auch in weit größerem Umfang international bekämpft werden", konstatierte sie. Die Einrichtung einer europäischen Staatsanwaltschaft und mehr Rechte für die Polizeiorganisation Europol müßten erste Schritte in diese Richtung sein.

Martin Leiß

-
Inhaltsverzeichnis dieser Ausgabe
andere Ausgaben der Jurassic
-
Stand: 26.2.1997, Ulf Kortstock